Tagebuch II

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Ich bin kein Lehrer?
Doch genau das habe ich bisher gedacht. Aber nach einiger Zeit an einem staatlichen Durchschnittsgymnasium mußte ich in Anbetracht einiger dort waltender Koryphäen meinen Irrglauben revidieren. Ich muß schreckliche Vergehen und unglaublichen Frevel beichten. Ich habe gemerkt, daß mein Unterricht nichts taugt, weil es mir gelang, Schüler für das Sujet zu interessieren. Außerdem habe ich den Fehler gemacht, Schüler soweit zu motivieren, daß sie tatsächlich besser wurden. Ich muß auch immer wieder feststellen, daß angesichts der Tatsache, daß Schüler nicht mitarbeiten oder mit immer zutreffenden vorgefertigten Auffassungen zu meiner Person oder meinen Fähigkeiten in meinen Unterricht kamen, mein Unterricht einfach schlecht sein muß, obschon ich glaubte informiert und bemüht gewesen zu sein. Aber offenbar kann ich, beschränktes Gemüt, das alles nicht beurteilen.

Auch meine netten Kollegen haben mir wiederholt geholfen und mir erklärt, wie der Hase läuft. Ich habe schlimme Fehler gemacht, etwa daß ich auf Freizeiten mitgegangen bin, oder daß ich mit Schülern zusammen Erfolge errungen habe, die uns Spaß gemacht haben. Ja, dies ist wohl meine größte Schuld: durch mein unverzeihliches Fehlverhalten ist es dazu gekommen, daß es immer wieder Schüler gab, die in meinem Unterricht Spaß am System Schule gefunden haben.

Aber andere Mißgriffe wiegen nicht weniger schwer. Ich mußte miterleben, wie Schüler offen zugaben, daß ich ihnen sympathisch bin. Und das schlimmste: sie behaupteten, sie hätten bei mir etwas gelernt!! Wie verheerend muß ich damit die Autorität meiner hehren Kollegen untergraben und ihre verborgenen Fähigkeiten verspottet haben! Mea magna culpa. An dieser Stelle muß ich sie alle um Verzeihung bitten, obwohl ein Teil von mir schon längst verschwunden ist.

Erst vor kurzem ist mir bewußt geworden, daß ich Schüler anlächle, ja, in äußerst unbeherrschten Augenblicken habe ich sogar herzhaft mit ihnen zusammen gelacht. Oh, diese Schande! Schrecklich vermessen waren sicherlich auch diese Augenblicke, in denen ich angegriffene Kollegen in Schutz genommen habe, oder als ich den Fehler beging, Partei für einen Schüler zu ergreifen.

Ich erinnere mich auch daran, daß ich Museums- und Ausstellungsbesuche zu aktuellen Themen mit meinen Schülern zu organisieren versuchte, es aber zum Glück nach beratender Absprache mit Kollegen unterlassen mußte.

Ebenso wurde mir inzwischen klar, es ist unverzeihlich, daß ich mich um Schüler, die mit persönlichen Problemen zu mir kamen, gekümmert habe. Auch dies war Verrat an meinem Amt.

Ich werde mich daran gewöhnen, meine Ideale aufzugeben und endlich untätig zu sein, um nicht mehr aufzufallen. Auch den Schülern, die sich offenkundig besser auskennen, muß ich endlich zugestehen, daß ich unfähig bin und daß die Meinung, es gäbe einige, die mein Können akzeptieren, schlicht und ergreifend falsch war. Den größten Respekt bin ich jedoch diversen Eltern schuldig, die engagiert, informiert und mit tiefem Einblick in das Schulgeschehen, mich und meine idiotische Lehrform wiederholt geduldig und aufopferungsvoll auf den rechten Weg zurückgebracht haben. Vielen Dank auch ihnen. Dasselbe gilt für den Tübinger Lehrolymp, der mickrigen Schulmeistern wie mir von Zeit zu Zeit hilfreiche Steine in den Weg legt. Ich weiß, die Jungs und Mädels da oben kennen sich aus und waren vor über 30 Jahren (oder nie) ebenfalls am Objekt Schüler tätig. Zu dumm, daß ich diese Objekte für lebende, denkende und vollwertige Menschen gehalten habe. Was habe ich falsch gemacht? Ich werde eines jüngsten Tages vor meinen Schöpfer treten müssen und mich fragen lassen: "Warst Du ein guter Lehrer?" Ich frage mich: "Bin ich es überhaupt? - Ja ich bin XXX."

 

Okay, jetzt seid Ihr dran! geht zurück und gebt Euren Tipp ab.